Mirror Works
Heilung wird oft als etwas Lineares betrachtet – als ein Prozess mit klarem Vorher und Nachher. Ich erlebe sie aber eher kreisförmig, als etwas das sich in Spiralen bewegt: mal ist man näher dran, dann wieder weiter weg – von sich selbst. Von der eigenen Authentizität. Es geht auf diesem Weg der Heilung darum, eine neue, erweiterte Identität zu entwickeln; jemand zu werden, der das Geschehene fest- und aushalten kann, ohne dass es einen weiterhin umstösst. Wie ein Spiegel.
Meiner Erfahrung nach kann Heilung von der Verbindung unterschiedlicher Techniken und Medien, von unterschiedlichsten Zugängen profitieren – auch abseits von Schulmedizin und Psychotherapie. Dadurch kann sich ein erweiterter Raum für Resonanz bilden: Musik kann etwas festhalten, was Zeichnung nicht vermag. Zeichnung kann etwas ausdrücken, was der Sprache versagt ist. Bewegung, Atem, Stille – sie alle vermögen etwas zu halten, zu tragen, etwas auszudrücken, das Worten alleine womöglich nicht gelingen kann.
Ausdruck (“expression”) bedeutet in diesem Zusammenhang für mich nicht, Kunst zu produzieren; es geht nicht darum etwas “Schönes” oder Neues zu schaffen – sondern darum, der eigenen Authentizität nachzuspüren, und sie zu verstärken: Ausdruck als Antwort auf Eindruck. Es geht darum etwas durchkommen, durchscheinen zu lassen: Einen Funken, eine Idee, und manchmal “nicht mehr” als ein Zittern. Eine Form. Ein Wort, ein Zeichen, ein Satz der ankommt, lange bevor er verstanden wird – ob von einem selber, oder von der Welt.
Mein Körper erinnert sich, auch wenn mein Verstand es nicht tut. Ausdruck lässt alle möglichen Erinnerungen an die Oberfläche kommen – auch wenn sie mir nicht aktiv bewusst sind; wenn sie vielleicht kryptisch, unlesbar, unlösbar scheinen. Unter dem Bewusstsein, versteckt vor einer Welt, die sich vielleicht früh als unzuverlässig etabliert hat. Ausdruck ist vor allem auch im nonverbalen Raum möglich: zeichnen, bewegen, atmen brauchen vorab kein rationales Verständnis. Im Holotropen Atmen wird nach jeder Sitzung gezeichnet, aus einem Raum den man rational noch lange nicht verstanden haben muss: non-verbaler Ausdruck kann das, was im Inneren feststeckt, oft müheloser nach außen tragen – weil der Ausdruck eine für den Verstand weniger erkennbare, und damit weniger gefährliche Form annehmen kann. Er gibt dem Formlosen dennoch eine Form. Was möchte in dieser Form nun erkannt werden?
So kann der persönliche Ausdruck eine weitere Grundlage für Integration und Heilung sein: denn es gibt keinen Ausdruck, ohne dass Raum eingenommen wird – und Raum einzunehmen kann lange das Gefährlichste überhaupt gewesen sein, insbesondere wenn es sich um authentischen Raum mit authentischem Ausdruck handelt.
Unterschiedliche Handwerke und Medien zu kombinieren bedeutet vielleicht auch zu akzeptieren, dass es keine einzelne Methode, kein einzelnes Medium, keine einzelne Sprache geben kann, die alles auszudrücken vermag. Die Mirror-Works verbinden einen Pol mit seinem Zwillings-Gegenpol, der letztlich doch identisch ist. Eigentlich ist in uns immer alles sichtbar – und dennoch kann manches lange verdeckt, vernebelt, unsicht- und greifbar bleiben.